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Tag 1: Der Toy-Train Modus. Wo ist Jim Knopf?

Tag 1: Die „Toy Train“ Schaukel in den Himalaya.

„Ich freue mich, wenn es regnet. Wenn ich mich ärgere, regnet es ja auch“.

Dehli. 30 Millionen Einwohner!

Die vierte DANE Transhimalaya-Trophy startet in der Hauptstadt Indiens. Dreckig, laut. Fantastische Farben und graue Gesichter. Schrecklich und schön. Ein Moloch von Stadt.

Schon auf unserem Weg zum Hauptbahnhof bestätigt sich unser Eindruck, den wir bereits auf den vergangenen Touren von Dehli bekommen haben.  Es sind so viele Menschen, dass das einzelne Leben nicht viel Wert zu haben scheint. Der Bahnhofsvorplatz ist übervoll mit Menschen. Jeder der Tagelöhner ist damit beschäftigt, sein eigenes Überleben zu sichern. Sie ringen um die Dienste für die Touristen. Sie schlafen auf dem Boden, betteln um Geld. Ein großes Menschentheater in der schwülen Hitze Indiens. Keine Sekunde des Stillstands, keine Sekunde der Ruhe. Faszinierend und abstoßend zugleich.

Es ist ein Kulturschock, wenn man diese Stadt erstmals betritt.

Indien hat viele Facetten. Wer versuchen will dieses Land zu verstehen, sollte seine Hauptstadt gesehen haben. Letztendlich entspringt die Faszination Indiens aus der unfaßbaren Vielfalt des Subkontinents. Und Dehli ist eine Facette.

Wir allerdings nutzen nach nur einem Tag Aufenthalt den Zug, um in eine andere Welt zu gelangen.

Der „Toy Train“ bringt uns weg aus der Stadt, in die fantastische Natur des Himalayas und in den indischen Modus.

Der „Toy Train“ ist eine Schmalspur-Eisenbahn aus Zeiten des englischen Kolonialismus. Wir steigen um in die andere Welt. Schon hier entfaltet sich die andere Seite Indiens. Ein intensiver Kontrast zum hektischen, menschenvernichtenden Moloch Dehli. In der Himalaya Region herrscht die Natur. Auf dieser Höhe der Himalaya-Region ist sie üppig und beruhigt. Der 50er Jahre Charme des „Toy Train“ tut sein übriges. Erstmals werden wir entschleunigt.

Der Schmalspurzug schleppt sich mit cirka 30 km/h langsam und kontinuierlich in immer größere Höhen. Die Türen sind ebenso offen wie die Menschen, die uns im Zug begleiten und begegnen.

Wir können uns während der Fahrt aus der geöffneten Tür lehnen, während draußen der Himalaya seine Schönheit präsentiert. Es ist wie eine Zeitreise. Die Farben Indiens sind prächtig, als Fotograf wechselt man allerdings unwillkürlich auf schwarz-weiß, weil diese Reise so zeitlos erscheint. Durch den 50er Jahre Charme des „Toy Train“ fühlt es sich an, wie eine Fahrt zurück in das Gefühl der eigene Kindheit: Wärme, Fahrtwind, Entschleunigung. Das Gefühl eines Ferienausfluges zu einem aufregenden Ziel. Vorne in der Lok werden Jim Knopf und Lukas zu finden sein. Wir auf jeden Fall sind so entspannt wie zuletzt in unserer Kindheit an einem Nachmittag mit der Augsburger Puppenkiste. Nach dem Baden.

Das Gepäck steht in den Gängen, die Toilette ist gewöhnungsbedürftig und außer dem Fahrtwind gibt es keine Kühlung. Aber schon in diesem Spielzeugzug beginnt Indien seine Faszination zu entfalten. Wir sind frei! Denn wir sind weit weg von unseren Verpflichtungen. In den nächsten 8 Tagen wird uns keine Email und kein Anruf erreichen. Wir haben kein Internet und kein WhatsApp. Wir haben noch nicht einmal den Stress eines Entscheidungsdrucks, denn wir können noch nicht einmal immer selbst darüber bestimmen, wann wir wann wo hin kommen. Das ist ungewohnt und auch auf gewisse Weise irritierend. Aber es macht auch gelassen. Und frei.

Der Kopf wandert weg von den weit entfernten Dingen des europäischen Alltags. Man braucht sich keine Gedanken machen, über Angelegenheiten im entfernten Europa, denn man könnte auch nichts ändern, wenn man es ändern wollte.

Auch an den indischen Verhältnissen, das werden wir noch erfahren, können wir bisweilen nicht viel ändern. Und angesichts der in Indien herrschenden Unabänderlichkeit mancher Geschehnisse, entwickelt der Inder eine große Gelassenheit gegenüber quasi ALLEM. Auch wir werden dies später noch lernen, dass es keinen Sinn macht sich über eine gesperrte Strasse, einen verspäteten Zug, eine sinnlose Regel, oder ein unnötigerweise notwendiges Papier aufzuregen.

Mr. Moti, unser Guide, hat dies schon längst verstanden und erklärt mir schon zu Beginn unserer Reise, auf meine Frage nach dem Hintergrund seines anhaltenden und ansteckenden Optimismus, dass er sich sogar freue, wenn es regnet. Denn wenn er sich ärgere, würde es ja auch regnen. Ein Satz von nahezu philosophischer Kraft, den wir mit zurück nach Deutschland nehmen, um ihn dort in den Mühen des Alltags langsam verblassen zu lassen.

Schade, denn eigentlich sollte man das Leben so betrachten: Vergeude nicht deine Kraft, noch nicht einmal deine Gedanken, an Dingen, die Du nicht ändern kannst.

Und hier in der Gelassenheit Indiens gelingt es uns sogar. Das monotone Geratter des „Toy Train“ untermalt unser zunehmende Entspanntheit. Die Vegetation ist üppig und das Klima moderat dampfsaunenhaft, die Fenster weit offen. Die faszinierende Landschaft zieht im Zeitlupentempo an uns vorbei und der Zug schaukelt uns in immer größere Höhen und zugleich in den entspannten Modus, der zum Grundton unserer Reise werden soll.

In den kommenden 10 Tagen müssen wir Motorrad fahren und die Landschaft an uns vorbei ziehen lassen.

Die vielleicht großartigste Landschaft der Welt.

Kein Telefon, kein WhatsApp, kein Internet. Und weit und breit kein Grund, sich zu ärgern. Wozu auch, es regnet ja noch nicht einmal. Der „Toy Train“ bringt uns in aller Entspanntheit zu unseren Motorrädern und er rattert beruhigend monoton.

Abenteuer, wir fahren langsam, aber wir kommen. Es bleibt uns Zeit, uns darauf einzustellen, was noch kommen wird. Tief liegende Erinnerungen rüttelt der „Toy Train“ in uns wach. Wir fühlen uns wie Kinder auf der Rückbank des elterlichen Wagens auf dem Weg in die erste große Ferienreise. Die Sommerluft strömt rein, wir sind sorgenfrei und haben alle Zeit der Welt. Wir sind zugleich müde und aufgeregt, im Angesicht des bevorstehenden Abenteuers, das wir -wir fühlen es schon jetzt- für immer im Gedächtnis behalten werden, weil es so neu, beeindruckend und anders  ist. Himalaya, wir fahren langsam, aber wir kommen.