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Tag 3: Es grünt so grün Richtung Tibet. Dorfbeschallung, Schürfwunden und Hinduismus.

Die DANE TROPHY TRANSHIMALAYA 2016: Von Sarahan nach Kalpa. Heute fangen wir den Tagesbericht mal ganz früh an. Es ist kurz nach Mitternacht…

… und unsere Freunde von der Hindu-Hochzeit in Kalpa beschallen seit unserer Ankunft den kompletten Ort. Das müssen wir uns als neugierig-aufgeschlossene Europäer doch mal genauer anschauen. In Deutschland wäre ich wahrscheinlich nicht auf die Idee gekommen mal eben kurz nach Mitternacht ein Hochzeit zu crashen. Die Neugierde auf die fremdländische Traditionen ist aber stärker.

Unsere Guides „Mr. Moti“ und Buddhi versichern mir mehrfach, dass eine schnelle Visite gar kein Problem sei. Der Hotelinhaber kennt das Hochzeitspaar und geleitet uns dann zur Hindu Hochzeit. Meine durch ein paar Kingfisher Biere vertriebene Scham angesichts unseres unangemeldeten Eindringens erweist sich als überflüssig. Mit großem Hallo und noch größerer Gastfreundschaft werden wir europäischen Gäste begrüßt. Eine Stuhlreihe wird bereit gestellt und, so erscheint es mir, aus dem ganzen Haus nochmals extra unseretwegen die gesamte Tanztruppe zusammen getrommelt, um den Überraschungsgästen eine Sondervorstellung zu geben. Stramme Leistung, wenn man bedenkt, dass die Performance schon mindestens 8 Stunden anhält.

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Let´s tröt again. Bandname wahrscheinlich „Dorfbeschallung“.
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Alter schützt vor Tanzwut nicht.
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Sondervorführung für die europäischen Hochzeitscrasher.
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Der Nachwuchs ist auch noch wach.

 

 

 

 

 

 

 

Wenn man so in der ersten Reihe sitzt, versteht man auch die irrsinnige Laustärke der Dorfbunterhaltung. Den ganzen Tag habe ich gedacht, die Beschallung käme schnöde vom Band. Jetzt aber zeigt sich, das die Hindu-Kombo die traditionelle Hochzeitsmusik mit monströsen Trompeten live performt. Die gesamte Hochzeitsgesellschaft tanzt dazu und, aus guter Gewohnheit bei europäischen Hochzeiten, verabschieden wir uns wieder, bevor wir zum Tanz aufgefordert werden und Deutschland in einem schlechten Licht erscheinen lassen. Schließlich wartet morgen ein neuer Tag.

 

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Sammelpunkt Dorfplatz.
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Die Dorfvorsteher kontrollieren den ordnungsgemäßen Aufbruch
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Kinderschutz. Denny gibt den Docs ein wenig Arbeit.
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Lange nicht gesehen: Eine Abzweigung.

 

 

 

 

 

 

 

Dieser beginnt dann gleich spektakulär. Sowohl Mr. Moti wie auch Denny haben gleich zu Beginn des Tages leichte Unfälle.

Es ist Monsum Zeit und des Nachts hat es wieder geregnet. In den unterhalb der 4000m gelegenen Vorgebirgen des Himalaya durchaus so üblich. Die Abfahrt ins Tag ist also tückisch. Moti kollidiert mit einem Jeep und Denny springt im Dorf ein Junge vor das Krad. Außer ein paar kleinen Schürfwunden verlaufen die Unfälle aber glimpflich. Denny wird vom Doc versorgt und Moti übernimmt unbeeindruckt wieder die Führung der Gruppe.

Wir folgen dem dem Lauf des Sutjey Fluss in das Kinnaur Tal. Schon der Google Earth Ausschnitt lässt erahnen, welch fantastischen Verlauf die Strecke entlang des Flusses nimmt. Die Talsohlen des Kinnaur Tals liegen auf 1200m, die Berge des Panoramas sind bis zu 6000m hoch.

Strecke Tag 3

 

Unser Ziel ist die Stadt Kalpa, nahe der tibetansichen Grenze gelegen, auf einer noch moderaten Höhe von 2759m. Der bei Kalpa gelegene Berg Kinnaur Kailash hat eine Höhe von 6032m. Er ist für Hindus und Buddhisten ein Heiligtum und gilt als Residenz des Gottes SHIVA, einer der wichtigsten Götter des Hinduismus, der das Prinzip der Zerstörung verkörpert.

Die Besteigung ist verboten und somit wurde dieses hinduistische Heiligtum noch niemals von einem Menschen betreten.

Die Sonne hat sich gegen den Regen durchgesetzt. es sind angenehme 28 Grad. Auf der linken Seite, einige hundert Meter unter uns schlängelt sich der Fluss und wir folgen den hundertfachen Kurven des Straßenverlaufs. Besonders spektakulär sind die tunnelartigen Passagen, bei denen die Strasse in den Felsen gehauen wurde. Auf diesen Höhen von sind die Gebirgshänge noch grün bewachsen und wir swingen uns entlang der Felswände immer weiter in Richtung Tibet. Es gibt wirklich schlechtere Arbeitstage.

Die heutige Etappe hat lediglich cirka 100 km und so lassen wir uns ausgiebig Zeit für Filmaufnahmen und Sightseeing.

(Bilder durchklicken mit den Pfeilen rechts bzw. links)

In Kalpa müssen wir noch eine Pass und Visumskontrolle hinter uns bringen und haben dabei aber einen faszinierenden Blick auf den heiligen Kinnaur Kaliash, die Heimstätte Shivas. Bereits gegen 15:00 Uhr erreichen wir unser Zielhotel. Die Crew hat ausgiebig Zeit für einen ersten Check der Royal Enfields und wir für das obligatorisch King-Fisher-Arrival-Bier inklusive anschließendem Mittagsschlaf.

Wir haben dann noch die Zeit mit einer kleinen Truppe hinab in den Ort zu fahren, um die Stimmung des beginnenden Abends in uns auf zu nehmen. Auf dem Weg ins Tal begleitet uns der Duft des Waldes. Die Üppigkeit der Vegetation auf diesen Höhen von lediglich 2700m steht in straken Kontrast zu der Hochgebirgslandschaft, die wir zu späteren Zeitpunkten unserer Tour jenseits der 4000m Grenze sehen werden.

Am Abend besuchen wir dann noch den hinduistischen Tempel des Dorfes und erhalten von Buddhi eine Einführung in die drittgrößte Religion der Erde.

Es gibt über 900 Millionen Hindus, wenn man die unterschiedlichen Glaubensrichtungen von Jainas und Sikhs dazuzählt. In der ältesten, farbigsten und wohl auch verwirrendsten Weltreligion hat vieles Übermaß: Es gibt Millionen Hindugötter, Tausende von Kasten und Unterkasten, Hunderte Sprachen und Dialekte. Der Hinduismus ist eher ein schimmerndes Kaleidoskop, er hat keinen festen Gottesplan wie Islam, Judentum oder Christentum. Er kennt auch keinen Religionsstifter, keine Kirche, kein geistliches Oberhaupt, keine Taufe und keine Missionierung des Einzelnen.

Das Göttliche ist in allen Dingen. Gott, die Schöpfung und der Mensch sind keine getrennten Kategorien. Jedes Wesen, ob Mensch und Tier, ob Baum, Fluss oder Stein, hat eine eigene Seele. Die meisten Hindus sind gegenüber anderen Religionen tolerant, Missionierung ist ihnen fremd. „Deshalb bete ich für einen Christen oder Muslim“, so Mahatma Gandhi, „dass er ein besserer Christ oder Muslim werde.“

Alles ist vergänglich, alles kehrt auch wieder. Werden und Vergehen, Leben und Tod sind Teil des ewigen natürlichen Kreislaufs. „Wer immer Gutes tut, wird gut. Wer immer Schlechtes tut, wird schlecht“, heißt es in den alten Schriften.

Wenn der Mensch die Früchte seines Tuns geerntet hat, kehrt er wieder auf die Welt zurück, vielleicht als Latrinenputzer, vielleicht als Brahmane, vielleicht aber auch als Ameise. Deshalb bringen Hindus der Schöpfung auch viel Respekt entgegen: Die Ratte im Hinterhof oder der Papagei, der im grünen Baum vor dem offenen Fenster schaukelt, könnten die eigene Großmutter sein. Der Mensch kann diesem leidvollen Kreislauf nur durch gute Lebensführung entrinnen, durch Askese, durch Yoga und Meditation – und durch Liebe zu den Göttern.

Eine weitere Eigenart des Hinduismus stellt uns nahezu täglich vor Herausforderungen: Die heilige Kuh.

Wer einer Kuh das Leben nimmt, hat nach hinduistischem Glauben einen Mord begangen. Für die Hindus ist die Kuh die Mutter allen Lebens und ihre Gaben haben religiöse Bedeutung. In der Mythologie wird die Kuh mit dem Gott Krishna in Verbindung gebracht. Dieser Gott wurde nach seiner Geburt in die Obhut einer Hirtenfamilie gegeben, denn man trachtete nach seinem Leben. Zusammen mit den Kühen wuchs Krishna auf, wurde von ihnen ernährt und verbrachte als Hirtenjunge seine Zeit mit ihnen.

Für uns hat dies die ganz praktische Auswirkung, dass wir als Motorradfahrer in der indischen Strassenhierarchie noch einen weiteren Platz nach hinten rutschen.

Denn weit vor uns, mit deutlichem Vorsprung auf Platz 1: die Kuh.

Sie darf ALLES.

Danach sortiert sich die Verkehrs-Hierarchie nach Größe und Gewicht. Die Vorfahrt ist in der Praxis so geregelt, dass derjenige die Vorfahrt beachten muss/sollte, der im Falle einer Kollision den größeren Schaden zu befürchten hat. Der Motorradfahrer gilt also nicht viel im indischen Straßenverkehr.

Nichtsdestotrotz fühlen wir uns mittlerweile Wohl auf unseren Royal Enfields. Wir sind wendig und flexibel und könnten, im Gegensatz zu den mehrfach am Grund des Tals liegenden LKWs, bevor wir engen Straßen den Weg über den Abgrund machen müssen noch vom Sattel springen.

Das ist zwar eher eine Illusion, beruhigt und tröstet doch für die nächsten Tage.

Es sollen noch einige Abgründe kommen.

(Bilder durchklicken mit den Pfeilen rechts bzw. links)