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Tag 5: Schlammcatchen auf dem Karawanenweg.

Oder: „Du da, hör ma. Kannst mich mal aus dem Lambo heben?“

Unangenehm.

Mr. Moti und ich wollen und müssen den Weg nach Kaza checken. Denn gestern hat er uns zur Umkehr gezwungen.

Wir beide fahren zur Erkundung die neue Royal Enfield Enduro HIMALAYAN und sind beide etwas euphorisiert unterwegs, da wir für die nächsten paar Kilometer nicht der Gruppendisziplin unterworfen sind. Moti, der Motorradnomade, ballert also mit 75km/h statt angemessener 30km/h über morastigen Grund am Abgrund entlang. Als Vertreter des Landes mit 4 Fußball-Weltmeistertiteln kann ich da natürlich nicht nachlassen und hefte mich an sein Hinterrad. Unvernünftig, aber immerhin spaßig.

Zur Erinnerung: Gestern Nacht (Tagebuch, Tag 4) mussten wir unsere Weiterfahrt nach Kaza abbrechen, da die Piste ABSOLUT unpassierbar war. Und wenn wir Kaza nicht erreichen können, werden wir auch unser Ziel der Reise, den Khardung La, den höchsten befahrbaren Pass der Welt nicht erreichen können.

Wir prügeln nun also über den Karawanenweg, der uns in der gestrigen Nacht zur Umkehr gezwungen hat. Und nach circa 15 km werden wir daran erinnert warum: Wir treffen auf den ersten Schlamm und Geröll-Erdrutsch, der die ohnehin nur rudimentär vorhandene Strasse endgültig in eine Moräne verwandelt hat. Am abschüssigen Rand der Strasse stehen bereits einige Straßenarbeiter, genauer gesagt Straßenarbeiterinnen(!), die augenscheinlich den Auftrag bekommen haben, mit Spitzhacken und Schaufeln die Route wieder befahrbar zu machen. Sie sehen uns anrauschen und warnen uns mit ausgebreiteten und erhobenen Armen vor dem tiefen Morast an dieser Stelle. In unserer gemeinschaftlichen Euphorie sind wir der festen Überzeugung mit genügend Drehzahl das Schlammbad durchfahren zu können. Wir fahren also mit nur minimal reduzierten Speed in den Morast ein und werden von den Schlammmassen abrupt auf Höhe der Straßenarbeiter gestoppt: BEIDE Royal Enfields bleiben, verschämt leicht versetzt, im Morast stehen. Und zwar OHNE Seitenständer.

Die Straßenarbeiterinnen lachen sich scheckig.

Es geht gar nichts mehr und wir müssen sie tatsächlich bitten, uns aus dem selbstverschuldeten Elend zu erlösen und die Mopeds mit Spitzhacke und Schaufel zu befreien. Die Damen haben Halbschuhe(!) an und waten nun mit ihren Gerätschaften durch den fast knietiefen Morast, um uns zu befreien. Sie sind fröhlich dabei und lachen. Und nehmen mir dadurch meine unangenehme Verschämtheit.

Ein Straßenarbeiter in Indien verdient € 1,- am Tag. Unsere Motorräder und unsere Ausrüstung und deren Wert stehen in einem enormen Kontrast zu ihrer Ausrüstung und ihrem Einkommen.

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Auf Deutschland übertragen, stelle ich mir die gerade erlebte Situation aus der Sicht der indischen Straßenarbeiterinnen folgendermaßen vor: Ich stehe an einer Bushaltestelle in, sagen wir mal Bochum, und muss zur eher unerquicklichen, schlecht bezahlten Arbeitsstelle. Aus weiter Entfernung sehe ich dann einen Lamborghini mit indischen Fahrer und überhöhter Geschwindigkeit kommen. Antizipierend, was gleich passieren könnte, wenn er seine Fahrt in diesem Tempo fortsetzt, hoffe ich, dass er die große Pfütze vor meiner Bushaltestelle bemerkt und gebe ihm sicherheitshalber diverse Zeichen, damit der Lambo-Inder nicht mitten durch die sich vor mir befindliche tiefe Pfütze bügelt. Einerseits um zu verhindern, dass er seinen Wagen beschädigt, andererseits aber auch um zu verhindern, dass ich klitschnass und dreckig werde, denn ich habe weder einen Regenschirm noch Ersatzklamotten dabei. Der Lambo-Typ bemerkt mein Winken, nimmt etwas Gas weg, ballert dann aber durch die Pfütze, macht mich nass und bleibt in ihr stecken. Dann springt die Karre nicht mehr an. Er öffnet die Flügeltür, lässt die Sonnenbrille auf und bittet mich, ihn durch die Pfütze zu tragen, damit er nicht nass wird.

Dann fragt er, ob er den Bus kaufen kann.

Ungefähr so haben wir uns gerade verhalten.

Immerhin ist uns dies bewusst und ich entschädige die Straßenarbeiterinnen mit einem angemessenen Trinkgeld.

Die bemerkenswerte Erkenntnis dieser kleinen Szene ist aber eigentlich etwas anderes: Während wir in Deutschland den Lambo-Inder mit großem Groll, Argwohn und der Frage nach seiner Haftpflicht-Versicherung begegnen würden, nehmen die indischen Straßenarbeiterinnen diese Szene mit Humor und beschämender Freundlichkeit. Immer wieder begegnet uns dies in Indien: Trotz materieller Not, großen Elends und sozialer Ungerechtigkeiten scheinen die Menschen fröhlich, zufrieden und ausgeglichen. Sicherlich bekommen wir nur einen sehr oberflächlichen Eindruck von dem indischen Leben, es ist aber trotzdem nachdenkenswert, wie selbstverständlich wir die Gnade nehmen, in einem solch privilegierten Land wie Deutschland aufgewachsen zu sein und dort leben zu dürfen.

Im Kontrast zu den Menschen im Himalaya ist es geradezu beschämend ist es, wie häufig wir nichtigste Anlässe nehmen, um uns die gute Laune verderben zu lassen und uns stressen lassen davon, Dingen hinterher zu jagen, die wir eigentlich nicht wirklich brauchen. Selbstverständlich ist mir dabei bewusst, dass wir unsere Situation natürlich nicht dauerhaft mit den Lebensverhältnissen in Entwicklungsländern vergleichen können, sondern der Maßstab naturgemäß unsere unmittelbare Lebensumgebung ist. Aber gerade dies ist ein wesentlicher Aspekt der DANE TROPHY TRANSHIMALAYA: Uns wird bewusst gemacht und zwar unmittelbar und direkt, dass unser Luxus oder von mir aus auch nur unser Standard in weiten Teilen der Welt nicht selbstverständlich ist. Es beginnt mit den normalen Dingen des Lebens: Genügend Nahrung, Elektrizität, ein Dach über dem Kopf, eine heiße Dusche und die Versorgung mit Lebensmittel sind im Himalaya für die Bevölkerung nur mit großem Aufwand erreichbar. Aber es geht auch darüber hinaus: In Indien gibt es kein Sozialsystem und keine grundsätzliche Absicherung. Das Leben ist in der Regel hart und entbehrungsreich.

Bei etwas Sensibilität kehrt man aus der DANE Transhimalaya mit etwas mehr Demut nach Hause zurück. Und weiß wenigstens ein paar Wochen, welch Glück man in der großen Lebenslotterie qua Geburt schon hatte.

Auch das bescheidene, fröhliche, hilfsbereite Auftreten der Straßenarbeiterinnen ist ein Anlass dafür, die eigenen Haltungen seinem Leben und seinem Land gegenüber einmal mal kritisch zu überdenken.

Unsere kleiner Auftritt zeigt uns aber auch: Wir haben im Prinzip keine Chance nach Kaza zu gelangen. Es gibt zwar ein funktionierendes Notfallsystem im Straßenbau, da die einzigen Straßenverbindungen natürlich von großer Bedeutung für die Menschen sind. Das Problem ist allerdings: Wir wissen nicht, wann dieses einsetzt.

Zurück in TABO sagt die Gerüchteküche, dass die für die Wiederherstellung der Strasse absolut notwendige Straßenraupe eine Tagesreise entfernt ist. Dies würde bedeuten, dass wir dann schon den zweiten Tag auf unseren Zeitplan verlieren und wir beschließen daher, gemeinsam die Querung der Schlammfelder zu versuchen. Die gesamte Truppe fährt also bis zur ersten großen Geröll-Lawine und bekommt dort eine weitere beeindruckende Aufführung von indischer Improvisationskunst, Hingabe und Durchhaltevermögen.

Schon dieser erste überspülte Bereich ist so breit und tief, dass es unmöglich ist, ihn mit den Motorrädern zu durchqueren. Ganz davon abgesehen, dass wir keine Ahnung haben, wieviele unpassierbare Stellen uns auf den weiteren 50 km eigentlich begegnen werden.

Mr. Moti, Buddhi und ihr Team finden aber einen Überquerungsweg, den wir gar nicht gesehen hätten. 15m oberhalb(!) der Straße prügeln sie die Royal Enfield in extremer Hanglage unter enormer Anstrengung über den Berg. Es sind weit über 35 Grad, wir befinden uns auf 4000m und es ist eine Stunde harter körperlicher Arbeit notwendig, um EINE Enduro auf die andere Seite des Geröllfeldes zu bringen. Es ist naheliegend, dass es unmöglich ist, weitere 26 Motorräder auf diese Art und Weise durch zu bringen.

Moti und Buddhi begutachten mit der über das Hindernis gebrachten Enfield die weiteren Kilometer. Wir warten eine weitere Stunde auf ihre Rückkehr und dann lautet ihre ernüchternde Botschaft: Es gibt zahlreiche weitere Straßenüberspülungen und –gerüchtweise- eine weitere defekte Brücke auf unserer Route.

Allerdings: Der Buschfunk sagt, dass von beiden Seiten des Passes Bagger unterwegs sind und somit eine Chance besteht, dass der Weg nach Kaza „bald“ noch befahrbar wird. Zumindest für die Motorräder.

Also zurück nach TABO, ein spätes Mittagessen und warten.

Wieder begegnen uns die beiden indische Lektion:

1. Die Dinge kommen wie sie kommen.

2. Es gibt immer eine Lösung

Nach mehreren Stunden des Wartens kommt das Signal, dass die Strasse passierbar sein könnte. „Könnte“ ist die exakte Formulierung: Passierbar ist sie nur für Motorradfahrer und auch nur für Motorradfahrer mit großer Erfahrung.

Wieder bietet sich uns ein indisches Spektakel: Dutzende von Motorradfahrern aus aller Herren Länder quälen sich dank gegenseitiger Hilfestellungen im Schritttempo über einen notdürftige geräumten, schlammigen Pass, der als Ausgleich zu seiner schwierigen Passierbarkeit auf der linken Seite immerhin circa 200m abfällt. Steil noch dazu und mit einem reißenden Fluss an seinem Grund. Begutachtet und bisweilen beklatscht werden sie dabei von mehreren Hundert Autofahrern, für die der Pass (noch) unpassierbar ist.

Unsere Truppe kämpft sich durch. Allerdings nicht ohne zwei kritische Situationen am Rande des Abgrunds, in denen das Glück in Anspruch genommen wurde, dass man für so eine Extremtour benötigt.

Belohnt werden wir für unsere Hartnäckigkeit und Kampfeslust dann durch eine fantastische, fantastische Reststrecke nach Kaza. Inklusive einem Platz für ein obligatorisches Gruppenbild, dessen Schönheit in der einsetzenden Dämmerung wohl wieder einmal keiner der Beteiligten wird vergessen können.

Wir erreichen Kaza in der Nacht. Für 50 km haben wir zwei Tage benötigt. Moti und Buddhi ist es wiederum gelungen, für eine Gruppe von mehr als 30 Leuten eine Unterkunft zu besorgen, obwohl in Kaza aufgrund der Vollsperrung des Passes große Nachfrage herrscht.

Jetzt ein kaltes Kingfisher-Bier und eine heiße Dusche. Von Ersterem ist genügend vorhanden, von Letzterem leider nicht. Angesichts der Strapazen der vergangenen beiden Tage geht zum ersten und einzigen Mal ein Murren durch die Truppe. Nach ein paar improvisierten Lösungen verfliegt dieses allerdings wieder so schnell, wie es gekommen ist.

Denn, wie schon oben beschrieben, gehören auch dieser Art der Erfahrung zu der Einzigartigkeit der Reise: Die Errungenschaften unserer Zivilisation sind nicht selbstverständlich, man sollte sie daher zu schätzen wissen. Und sei es „nur“ eine warme Dusche und ein kaltes Kingfisher.

Die Strapazen der vergangenen beiden Tage fordern allerdings ihren Tribut: Morgen werden wir drei Teilnehmer haben, die sich nicht in der Lage sehen, die Reise auf dem Motorrad fort zu setzen.

Und morgen sollten weitere Nachrichten auf uns warten, die zeigen, dass nichts selbstverständlich ist.

Und diesmal wird die Lösung wirklich schwer. Denn unser großes Ziel ist in Gefahr.

Und dieses mal ist daran Schuld: Der Mensch.

 

 

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