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Tag 4: Ab geht die wilde Fahrt! Auf Zum Gleitschirm-Ski-Jahrmarkts-Hüpfburgplatz

Neben der Improvisationskunst haben unsere indische Freunde auch einen Hang zu praktischen Lösungen. Die Entstehung dessen, was uns an unserem 4. Tag hier wieder einmal überraschendes begegneteIch  stelle mir das ungefähr so vor: Eine Gruppe von indischen Berginvestoren betrachtet die große Fläche an der Talstation des Skiressort Solang, also die Stelle an der zu Schneezeiten Hunderte von erwartungsfrohen Skifahrern sich sammeln und die Talstation entern möchten.

„Wenn wir schon mal rechts und links Berge und in der Mitte eine Ebene haben“, so denkt sich der praktische Inder, „was können wir hier denn noch schönes dem geneigten Besucher anbieten“?

Berge + Ebene + Skitalstation = Gleitschirmfliegen, so die nahe liegende Lösung des Meetings.

 

Gesagt, getan: In der Konsequenz und Realität bedeutet das, dass man ein paar mehr oder minder vertrauenserweckende Schirmchen einfach mal eben auf den Hang legt und ein paar Gleitschirm-Sherpas engagiert, die die Dinger nach erfolgreichem Kurzflug dann wieder die cirka 30-50 Höhenmeter hinauf schleppen. 30 Höhenmeter für 50 Rupien (75 Cent) oder 50 Höhenmeter für 80 Rupien (1 Euro). Gleitschirmfliegen leicht gemacht!

Sieht man mal davon ab, dass es nicht den Eindruck macht, dass die Schirme entsprechend den Statuten des internationalen Gleitschirm Verbandes gewartet, kontrolliert und gefaltet werden, eigentlich eine ganz pfiffige Idee.

 

Irritierend für den deutschen Pedanten ist nur, dass die Gleitschirme auch im Winter mitten in der wartenden Skihasen-Menge landen! Dem deutschen Sicherheitsingenieur würden an dieser Stelle unter seinem gelben Helm nun wieder, diesmal sogar im wahrsten Sinne des Wortes, die Haare zu Berge stehen. Der indische Neu-Unternehmer löst es aber gewohnt pragmatisch und fordert den Flugnovizen auf, sollte er denn überhaupt die anvisierte Ebene erreichen, kurz vor der Landung laut zu pfeifen.

Noch mal zum Mitschreiben bzw. -lesen: Der Fluganfänger(!) wird, wie uns unser Guide Mr. Moti berichtet, aufgefordert IN einer Menschenmenge zu landen und laut zu pfeifen, kurz bevor er in selbiger aufschlägt.

Sicherheit vom Feinsten!

Eine Technik, weitgehend analog zu den indischen Straßenverkehrsregeln. Es gelten die Grundsätze:

A. Der Stärkere bzw. der potentiell Gefährlichere hat Recht.

B. Wenn der Stärkere zudem noch hupt, respektive pfeift, hat er sogar total Recht.

Der Schwächere, in diesem Fall also der harmlos wartende Skifahrer, soll halt ausweichen, wenn der Gleitschirmflieger landen will. Indien ist wirklich cool.

Insgesamt spielen sich auf dem Talstationen-Vorplatz sicherlich lustige Szenchen ab, wenn die beiden Sportsgruppen ihrem Hobby frönen. Besonders schön, wenn dabei Anfänger auf Anfänger trifft.

So gesehen, sehr schade, dass heute kein Schnee liegt.

 

Andererseits auch sehr erfreulich, denn WIR dürfen ENDLICH auf unsere einzylindrigen Gefährten.

Schon am frühen Morgen haben die Ersten von uns ihr Handtuch auf die Liege bzw. den Helm auf die von ihnen favorisierte BULLETT MACHISMO gelegt. Es hat dabei seltene Fälle von Liebe auf den ersten Blick gegeben, obwohl sich die Einheitsmaschinen nur in Nuancen unterscheiden. Eckhard zum Beispiel, unser Stammesältester, hat sich seine Enfield ausgesucht, weil ein rühriger Vorbesitzer seine bunten Gebetsfahnen zwischen den Lenkerenden hat hängen lassen.

Schon in den ersten Minuten der ersten Begegnung hat Eckhard eine dermaßen große Zuneigung zu der kleinen Bergziege entwickelt, dass er sich später strikt weigerte, als sein Moped sich nach all dem Gerüttel und Geschüttel eine pannenbedingte Pause nahm, auf ein anderes Exemplar um zu steigen. Während alle anderen im Fall eines Defekts sehr praxisorientiert einfach auf die Enfield des Mechanikers umgestiegen sind, war Eckhards Zuneigung zu SEINER Bullett so groß, dass er während der gesamten Reparaturzeit an dessen Seite blieb. Liebe Jugend, so sieht Treue aus!

Begonnen hat unser Tag also damit, dass wir auf die Mopeds durften. Um uns an die Einzylinder und auch an die Höhe zu gewöhnen, beschränkt sich die Tour auf die Umgebung von Manali. Vor dem ersten Kick hat uns Mr. Moti noch kurz die 7 goldenen Regeln für den indischen Verkehr und das zukünftige Fahren in der Gruppe verkündet:

Regel 1-5: Auf Kühe achten. In den hinduistischen Religionen ist der Schutz der Kuh bis in die heutige Zeit ein wichtiges Element. Schon der Sanskrit-Name aghnya (die Unantastbare) verdeutlicht auf ihre besondere Rolle. Eine Kuh ist auch in heutiger Zeit der indischen Gesellschaftspyramide weit oberhalb des europäischen Motorradfahrers angesiedelt.

Regel 6: Hupen. Bekanntermaßen ist in Deutschland der Einsatz der Hupe in der Regel ein Zeichen von nahender Gefahr. In Indien die Hupe das eindeutig wichtigste Bauteil an einem Fahrzeug. In einer indische Stadt werdet ihr (wir haben es getestet) bei Tageslicht keine 15 Sekunden erleben, in denen nicht gehupt wird. Da es auch keine 15 Sekunden gibt, in der nicht eine nahende Gefahr auf den Plan  tritt, ist dies letztendlich auch konsequent. Zunächst ist der sensible Europäer (also auch wir) zögerlich im Einsatz des Signalhorns. Irgendwann im Laufe der Tour kippt es aber ins Gegenteil und man erwischt sich bei dem Gedanken, beim nächsten Indien-Trip ein Schiffshorn an die Enfield zu dengeln.

Regel 7: Rechts überholen, hupen und auf Kühe achten. Indien hat Linksverkehr. Da die Erfindung der Leitplanke sich noch nicht bis zum Subkontinent rum gesprochen hat und es im Himalaya am Rande der Strasse meistens mehrer Hunderte Meter bergab geht, empfiehlt es sich diesen Rat ein zu halten. Besonders, da laut unserem Guide Mr. Moti cirka 40% der indischen Truckfahrer keinen Führerschein haben und nur ungern nüchtern fahren. Sollte man also auf die Idee kommen, mit den explosiven 23 PS ROYAL ENFIELD BULLETT MACHISMO links zu überholen und NICHT zu hupen, kann es sein, dass der angeschickerte Indien Trucker vor Schreck das Lenkrad verreißt und man sich dann 5 Etagen tiefer befindet. Dank DANE Protektoren kein Problem, aber trotzdem nicht unbedingt empfehlenswert. Nicht umsonst lief der Manali-Leh Highway auch auf dem seriösen Kultursender RTL II unter der Überschrift „Die gefährlichsten Strassen der Welt“.“

 

Frisch eingehupt machen wir uns also auf den kurzen Weg zu dem oben erwähnten Skiresort. Es sind nur 40km, aber man bekommt einen Vorgeschmack auf das was ein Motorradtrip durch Indien immer bedeutet: Das große Kino des Lebens zieht vorbei: Die Konstanz, Beständigkeit und die einschüchternde Mächtigkeit der Landschaft auf der einen Seite und das skurrile, rastlose, lärmende Treiben der Ameise Mensch auf der anderen Seite. Auch wer Indien nicht kennt, fährt den ersten Tag mit offenem Mund angesichts der stetig vorbei rauschenden Vielfalt. Schon die ersten Meter rechtfertigen die Mühe der Anreise. Es ist eine Art des Motorradreisens, die an an die ersten Tage des eigenen Motorradlebens erinnert: Neu, frisch, ursprünglich und frei. Ein Tag voller Euphorie und Vorfreude.

Schon am ersten Motorradtag: Schlangenbeschwörer, Tuc-Tucs, Gebetsfahnen, wackelige Brückenkonstruktionen, herausfordernde Offroad-Strecken, rauschende Flüsse, mächtige Berge, klare Gebirgsluft, sprotzende Einzylinder, schleifende Fußrasten…

Bei jeder Rast muss sich die Gruppe, die durch das bisher gemeinsam Erlebte schon jetzt zu einem verschworenen Haufen geworden ist, das gerade erlebte austauschen. Eine erfrischende Aufgeregtheit liegt über den gesamten ersten Tag.

Schon die kleine spätnachmittagliche Erkundung Manalis gibt einen Eindruck davon, was uns die Himalaya Region und ihre Menschen noch bieten werden.

Was wird uns diese fantastische Reise noch bieten?

Wie sich zeigen wird, das größte Motorrad Abenteuer unseres Lebens.

Zu diesem Abenteuer gehören auch die skurilen, irritierenden, befremdlichen Begegnung abseits des Motorradfahrens, auf die man sich einlassen sollte, wenn die Entwicklung auch nicht immer absehbar ist. Exemplarisch genannt für diesen Tag sei meine Begegnung mit 3 indischen Schlangenbeschörern, in deren Folge ich unverrichterter Dinge 4(!) Kobra Schlangen („Don´t worry,Sir“) an meinem Körper hatte. Eine interessante Erfahrung, die man offen gestanden machen kann, aber nicht muß. Es hätte ein interessanter Minifilm werden können, wenn ich noch in der Lage gewesen wäre, die Handykamera ordentlich zu bedienen und halbwegs cool zu sprechen. Spätestens als der Schlangenbeschwörer-Assistent mir ungefragt das 4 Exemplar um den Hals legte, entwickelte sich Kameraführung und Moderation -gelinde gesagt- suboptimal. Um die Worte latent hysterisch zu vermeiden.

Das unser Doc Peter für 1 Stunde als vermisst gemeldet wurde, ist nur eine weitere Randgeschichte an diesem Tag voller ansonsten schon fast kindlicher Vorfreude. Zumal er selbst in seiner bayrischen Entspanntheit gar nicht wußte, wo das Problem lag: „Jao mei, I küm scho zurächt“.

Der Abend endete dann mit einem kleinen Monsumregen in einer chilligen Bar. Kann es besser werden?

Nein, es kann nicht besser werden.

Wird es aber.

Denn morgen…, morgen geht es zum Dach der Welt!!